Selbstzweifel und Co.

Gespeichert von Julia am Fr, 12/04/2020 - 10:28

Selbstzweifel, Body Issues und Pole Dance

Alle die mir auf Instagram folgen oder schon mal mit mir darüber gesprochen haben, die wissen, dass ich einen langen Weg hinter mir habe was das Wohlbefinden in meinem eigenen Körper angeht.

Ich versuche damit sehr offen umzugehen, da Selbstzweifel nichts fürs stille Kämmerchen sind. Niemand fühlt sich besser wenn man sich alleine schlecht fühlt. Gemeinsam schlecht fühlen ändert zwar nichts Grundlegendes, aber über Dinge zu sprechen und sie beim Namen zu nennen ist der erste Schritt etwas zu tun.

Als Jugendliche habe ich mit einer Essstörung (zwar nie offiziell diagnostiziert aber definitiv vorhanden) gelebt und ihre Ausläufer habe ich viele Jahre mitgenommen. Egal ob du eine solche Vergangenheit teilst oder nicht - es wird uns leicht gemacht den eigenen Körper als unvollständig, nicht richtig oder auch als Grund für gewisse Probleme zu sehen. "Nur ein, zwei Kilo abnehmen, dann bin ich zufrieden." "Wenn ich dünner wär, dann würd es mir jetzt viel besser gehen."

Eine innere Unzufriedenheit zu lösen, indem wir unseren Körper verändern und bekämpfen - das kann ich euch aus Erfahrung sagen - es klappt nicht. Die Versuchung ist sehr groß weil es ja so viele von uns versuchen, doch funktionieren tut es nicht. Über Medien werden uns scheinbar perfekte Menschen präsentiert, glücklich, optisch makellos. Wie können wir einen flachen Bauch bekommen, die Traumfigur vorm Sommerurlaub, ihr kennt das alle. Auch wenn wir rational mittlerweile wissen, dass diese Bilder digital nachbearbeitet sind, so berühren sie uns und bleiben im Gedächtnis. Kaum orientieren wir uns an dem was wir in der Wirklichkeit sehen und wir spielen mit indem wir unsere eigenen "Makel" vertuschen und versuchen diese zu verstecken.

Ganz unten findet ihr einen Link zu einem Artikel in der FAZ zum Thema "Cellulite". Dass dieses Wort in den 60ern vermehrt auftauchte und ein Problem kreierte, dass es vorher nicht gab nützt vor allem der Kosmetikindustrie. Es wurde ein ganz völlig Erscheinungsbild erwachsener Frauenhaut als "Makel" deklariert und in der heutigen Zeit ist es für Frauen traurigerweise ganz normal, sich dafür zu schämen. Jetzt stellt euch mal vor, jemand würde plötzlich sagen, es ist nicht normal und nicht schön, dass ihr Falten an den Fingergelenken habt?! Irre, oder? (Aber würde vielleicht auch klappen.)

Doch es ist nicht nur "die Gesellschaft". Zweifel rühren meist auch aus unserer Vergangenheit und aus Erlebtem, welches sich gut eingeprägt hat. Vielleicht hat deine Mutter schon ständig versucht weniger zu essen und ihren Bauch "loszuwerden". Egal ob es der Ex-Freund war der uns gesagt hat dass unser Bauch zu groß ist oder die Tante, die darauf hinweist, dass wir "so etwas" nicht anziehen sollten, "das steht dir nicht." Vielen Menschen fällt es leicht, andere auf Äußerlichkeiten zu reduzieren und mit ungefragter Kritik die eigenen Unsicherheiten zu überspielen. (Und wenn wir uns ehrlich sind - haben wir nicht genau das auch selber schon gemacht?!) Dazu kommen auch viele - oft unbedachte - Kommentare bei denen eine negative Botschaft mitschwingt. In denen versteckt ist, dass wir nicht richtig sind oder etwas Bestimmtem entsprechen müssen um richtig zu werden. 

"Du willst schon wieder auffallen!"
"So willst du außer Haus gehen?"
"Oh toll, du hast abgenommen!"
"Nimm lieber diese Kleid, das schmeichelt deiner Figur mehr."

Und obwohl Pole Dance ein Sport ist, der für uns Frauen sehr motivierend ist und so viel Möglichkeiten bietet um genau diese reale und vorhandene Vielfalt unserer Körper zu feiern, so war für mich auch hier Platz für Selbstzweifel. Seit ich unterrichte bin ich mir bewusst, dass ich einen schönen Körper habe. Ich weiß, ich bin nicht dick. Ich liebe es, anderen Frauen zu sagen - du bist gut wie du bist! Und trotzdem war auch ich nie gegen diese Zweifel gefeit.

Da stand ich vor eine Gruppe junger Frauen und habe ihnen gesagt, dass sie toll sind und es völlig egal ist wie sie aussehen, und selber habe ich mich argwöhnisch im Spiegel betrachtet und mir gemeine Dinge an den Kopf geworfen.

Über die Zeit habe ich Strategien entwickelt um mit diesen umzugehen, und die möchte ich euch ein bisschen näher bringen.

Mir half es erstmal, diese Zweifel als Stimmen in meinem Kopf zu sehen. Manche konnte ich dann tatsächlich gewissen Personen zuordnen, die mir verletzende Dinge gesagt haben, manche waren mehr ein Ergebnis von unterschiedlichen Einflüssen und Erfahrungen. Die Aussagen, diese Stimmen musste ich erstmal ordnen und mir anhören.

Ganz schön heftig was man da manchmal zu sich selber sagt. Würdest du sowas auch zu deiner besten Freundin sagen? Vermutlich nicht. Also warum zu dir?

Außerdem - nur weil diese Gedanken da sind bedeutet das nicht, dass sie Recht haben.

Wenn du dir deine Stimmen mal genauer ansiehst (du kannst dir auch einen Zettel hernehmen und deine sogenannten Glaubenssätze notieren) frag dich mal - stimmt das wirklich? Ist mein Hintern wirklich zu dick für den Shouldermount? Oder hab ich einfach noch nicht genug Kraft? Kann ich gewisse Dinge wirklich NIE schaffen? Woher will ich das denn wissen?

Diese falschen Rückschlüsse hindern uns oft an der eigenen Entwicklung. Anstatt motiviert weiter zu trainieren und stetig kleine Fortschritte zu sehen stecken wir unsere Energie in die Versuche abzunehmen. Dies frustriert uns (natürlich, wer schränkt sich gerne ein?!), unser Training mit leeren Energietanks ist mies und unsere Erwartung, dass wir es ohnehin nicht weiter schaffen wird bestätigt.

Meist stellt sich heraus, dass diese Stimmen ganz schön wenig Ahnung haben vom Training, und vom Leben generell.

Dann gibt es auch noch die, die uns sagen was wir tun und lassen sollen. Die ungefragt unser Outfit bewerten und uns sagen, dass das neue Foto einfach nicht gut aussieht weil da ist ja eine Delle am Po. Rational weißt du - das ist Bullshit. Das ist normal, das ist das Leben. Und trotzdem...

Kenn ich. Immer wieder erwische ich mich beim Gedanken - das kannst du nicht posten, irgendwelche Makel sind zu entdecken.

Meine Lösung: Jetzt erst Recht! Ich möchte nicht die Person sein, die mitspielt in einer perfekten Scheinwelt. Ich möchte, dass sich Frauen besser fühlen. Nein, ich möchte sogar, dass sie sich hervorragend fühlen! Ich will zeigen, was wirklich normal ist. Ob es zwischendurch mal ein Fail ist oder ein Foto auf dem ich mir eigentlich nicht gefalle, aber ich weiß - der Pole Move drauf ist richtig gut gelungen!

Pole Factory

Es gibt schon genug scheinbare Perfektion, und genau die ist es, die uns zweifelt lässt. Jedes Mal, wenn wieder so ein kritischer Kommentar in mir auftaucht höre ich ihn mir an, um dann die Rebellin auszupacken. Die - manchmal wütend, manchmal verständnisvoll - erklärt, wie der Hase läuft.

Du bist nicht dazu da um irgendwelche Erwartungen zu erfüllen.
Das Leben ist kurz. Verbringe es damit, tolle Sachen zu machen.
Gönn dir Zufriedenheit, gönn es dir, dass du ok bist wie du bist!

Und natürlich kam auch heute wieder eine Stimme in mir zu Wort die hat gesagt, ich solle doch bitte den Blödsinn lassen. Diesen Eintrag liest doch ohnehin keiner. Und Weisheiten über Selbstzweifel gibt es ohnehin zu Hauf, also was soll das.

Guess what - ich hab ihr erklärt, dass das schön und gut ist, aber ich mach es trotzdem. Und wenn nur eine von euch das Ganze liest und sich denkt "Hell, yesssss!" dann hat es sich ausgezahlt. Und meine Gedanken dazu bin ich nun auch mal ganz wunderbar los geworden.

In diesem Sinne - seid Rebellinnen und bleibt toll, wie ihr seid! 

Bussi, Julia

 

Artikel zum Thema "Cellulite" - FAZ 

(Achtung, der Artikel hat 2 Seiten, das übersieht man recht leicht)